Der Große Zapfenstreich

 - Geschichte und Entwicklung -

                                       

Die Darstellung der Entstehung und Entwicklung des Großen Zapfenstreichs ist verschiedenen historischen Beschreibungen entnommen.

Woher kommt der Begriff „Zapfenstreich“?

Aus den Zeiten des römischen Heeres kennt man schon abendliche musikalische Ehrungen für militärische Führer im Feldherrenrang, wobei es sich damals um konzertante Darbietungen und von Bläsern gespielte militärische Signale handelte.

Der Ursprung des Wortes Zapfenstreich führt uns in das Lagerleben des Mittelalters zurück. Zu einer bestimmten Stunde mussten die Marketender allabendlich auf ein Trommelzeichen hin den Zapfen oder Spund des Bierfasses streichen, d.h. hineinschlagen, um das Fass zu verschließen; die Zeit der Nachtruhe war gekommen, es durfte nichts mehr verzapft werden.

Marketender waren Händler bei der Feldtruppe. Sie gehörten zum Tross der Militärs und bauten ihre Zelte in oder vor den Feldlagern auf. Sie verkauften in ihren Zelten neben allem was ein Soldat so braucht natürlich auch Alkohol und waren somit ein beliebtes Ziel der Soldaten nach Dienstschluss. Die Marketender unterlagen auch der militärischen Aufsicht.

Umstritten ist die Ansicht, es sei mit Kreide oder Rotstift ein Strich über den eingeschlagenen Zapfen gezogen worden, um das Verbot des weiteren Verkaufs von Getränken überwachen zu können, obwohl in einem Militär­-Konversations-Lexikon von 1841 als Überlieferung steht:

„ ... altdeutsche Gewohnheit, dass die Polizeibeamten in den Trinkstuben über die Zapfen der Fässer einen Strich mit Kreide machten, worauf nichts mehr ausgeschenkt werden durfte.“

Eine andere Deutung, der Zapfenstreich habe seinen Namen vom Tannenzapfen, der früher als Wahrzeichen über dem Eingang der Gastwirtschaften hing und abends gestrichen wurde, d.h. abgenommen werden musste, gilt als wenig wahrscheinlich, denn den Historikern des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg ist nicht bekannt, dass ein Tannenzapfen als Wahrzeichen der Gasthäuser Verwendung gefunden haben soll.

In einer Verordnung des Großen Kürfürsten vom 12. 08. 1662 findet man eine Weisung für die Bürger. Dort heißt es wörtlich:

„ ... wirdt von Unß hiermit nochmahlß den Brawern (= Brauer) undt Bürgern auch andern wer die auch sein, welch Bier kannenweiß verkauffen, ernstlich und bey willkührlicher Straffe gebohten und befohlen, sobald alß durch dir Trommel der Zapfen zugeschlagen ferner kein Bier zu verlassen oder außzuschenken, noch Biergäste in den Häusern oder Kellern zu behalten ...“.

Aus diesen vorliegenden Quellen wird deutlich, dass der Zapfenstreich nicht nur für das Militär galt, sondern auch für das normale Bürgertum.

Zu einer festgesetzten Stunde ging jeden Abend der Profoß, das war ein Vorgesetzter in der Funktion eines Wachoffiziers, oder ein Gerichtsoffizier, der die Regimentsjustiz inne hatte, durch die Schänken und Marketenderzelte und schlug mit seinem Stab auf den Zapfen des Fasses, wodurch unbedingter Schluss befohlen war und kein Wirt mehr ausschenken durfte.

Der Profoß wurde dabei von einem Trommler und einem Pfeifer, dem sogenannten Spil begleitet, die das Signal spielten. Nach diesem musikalischen Befehl, den die Landsknechte Zapfenschlag nannten, mussten alle ihre Zelte aufsuchen. Wer sich trotzdem noch im Lager herumtrieb oder gar weiterzechte, wurde hart bestraft.

Man geht davon aus, dass die Polizeibeamten, die zumeist vorher beim Militär waren, für die normalen Bürger den Zapfenschlag zunächst ohne musikalische Begleitung ausführten. In der Anlehnung an die Traditionen der Militärs wurde später die Polizei, wie der Profoß von einem Trommler und einem Pfeifer begleitet. Das betreffende Trommelsignal wurde Zapfenschlag oder Zapfenstreich genannt.

Nach Überlieferungen aus dem Jahre 1757 hatten die Truppenteile des Kurpfalz-Bayerischen-Heeres ihre Regimentstambours nach München zu senden, um die beim Leibregiment eingeführten Streiche zu erlernen. Später wurde der Kurpfalz-Bayerische Regimentsstreich von 1782 erwähnt, der wahrscheinlich der Versammlung des Regimentes diente.

Nicht nur das getrommelte, sondern auch das geblasene Signal wurde Zapfenschlag oder Zapfenstreich genannt. (Schlag und Streich sind sprachlich historisch oft völlig gleichbedeutend, wie z. B. Todesstreich, Schwertstreich, Uhlands Schwabenstreich.)

Obwohl diese Sinngleichheit auch im englischen to strike (= schlagen) zu finden ist, wird für den deutschen Zapfenstreich die entsprechende Bezeichnung tattoo von tap to (= zapf zu) abgeleitet.

Woher kommen die Signale des Zapfenstreiches?

Der Ursprung der Trommel- und Flötensignale ist bei den Fußtruppen in der Landsknechtzeit des 15. und 16. Jahrhunderts zu suchen. Das Flötensignal, das in den Standorten geblasen wurde, um die Soldaten in die Kaserne zu rufen, soll von Friedrich dem Großen (1712 – 1786) stammen, der ein guter Musiker war und das Flötenspiel liebte. Er soll es als junger Prinz nach dem Gesang eines Rotkehlchens verfasst haben, das ihm beim Flötenspiel zu dieser Tonfolge anregte. Man findet sie im ersten Locken des heutigen Zapfenstreichs wieder.

1726 taucht in den Büchern des sächsischen Majors Hans von Flemig der Begriff Zapfenschlag auf. Er schreibt in seinem Kapitel „Vom Tambour und Querpfeiffer“ wörtlich:

... dass die Trommel gerührt werde, wenn die General-Gewaltigen, Rumormeister und Profoß Abends durch den Zapfenschlag befahlen, das Zapfen und Ausschenken im Lager auch außerhalb einzustellen“. Dort heißt es weiter: „Und damit sich dißfalls keiner mit der Unwissenheit zu entschuldigen habe, so soll der die Wache habende Feldwebel alle Abende zwischen 8 und 9 Uhr den Zapfenstreich schlagen lassen“.

Dies war die erste Erwähnung des Begriffs Zapfenstreich. Auch die zum Zapfenschlag gehörenden Signale erwähnt er. So schreibt er unter anderem

... die Reveille, der Musik am Morgen, wenn es früh am Tag ist und die Nachtposten abgehen“. Damit hat er die Reveille, ursprünglich ein militärischer Weckruf des Regimentstrompeters, als Signal zum Zapfenschlag benannt.

Die Kavallerie besaß als eigenes Zapfenstreichsignal eine Fanfare, die Retraite. Der Name kommt aus dem französischen und ist ein Hornsignal. Man benutzte Hornsignale bei der Kavallerie um die Schlachtordnung zu steuern, wie z. B. rechter Flügel vor, linker Flügel zurück usw. Die Retraite war ein Signal zum Rückzug aus Schlacht. Die Retraite in der Bearbeitung von Wieprecht (1802-1872), Direktor der Musikkorps der preußischen Gardekorps, gibt es seit 1840. Er hatte die einzelnen Signale aus dem Gedächtnis so niedergeschrieben, wie ihm sein Vater sie beigebracht hatte. Wieprecht hatte sie dann rhythmisch in ein Taktschema eingepasst und zum Abschluss jedes Signalabschnittes mit harmonischen Akkorden und einem Paukenwirbel unterlegt. Eine erste Aufführung im Rahmen seines Zapfenstreich-Zyklus erfolgte wahrscheinlich 1848.

Diese Signale sind auch in dem Exerzier-Reglement für die Kavallerie der Königlichen Preußischen Armee von 1855 aufgeführt.

Dort ist von der „Abend-Retraite, der Harmonischen Retraite der Cavallerie“ die Rede. In den Heerlagern des 18. und 19. Jahrhunderts kannte man auch den Retraiteschuss, ein Kanonenschuss der den Zapfenstreich ankündigte.

Hornsignale findet man heute im Zapfenstreich-Zyklus nach dem Zapfenstreichmarsch als 1., 2., und 3. Post wieder. Die Begriffe Post oder Posten stehen für signalartige Melodien, die zu einer feststehenden Folge zusammengefasst wurden.

So hatte ursprünglich jede Waffengattung ihr eigenes Zapfenstreichsignal. Waren mehrere unterschiedliche Regimenter in großen Feldlagern versammelt, wurden die verschiedenen Signale nacheinander geschlagen beziehungsweise geblasen.

In einem Handwörterbuch der Gesamten Militärwissenschaften von 1880 ist unter dem Stichwort Zapfenstreich zu lesen:

„... das mit Trommel oder Signalhorn geblasene Abendsignal zur Rückkehr der Soldaten in ihr Quartier oder Zelte, welchen gewöhnlich ¼ Stunde vorher das Locken vorausgeht.“

Einige dieser alten Zapfenstreichsignale, die Trommel- und Flötensignale aus der Tradition der Landsknechte und die Hornsignale und Pauken der Kavallerie finden sich im heutigen Ablauf des Großen Zapfenstreichs wieder.

Wie entstand der Große Zapfenstreich in der heutigen Form?

Der Große Zapfenstreich nimmt heute eine besondere und herausragende Stellung auf dem vielfältigen Gebiet der traditionellen deutschen Militärmusik ein.

Diese feierliche Abendmusik mit ihrer Abfolge von Trommel- u. Pfeifenstücken, Reitersignalen, dem Gebet und der Nationalhymne trägt bis auf den heutigen Tag die beiden großen ungebrochenen Traditionen deutscher Militärmusik in sich, die Trommeln und die Pfeifen der Landsknechte und die Trompeten und Pauken der Kavallerie.

Die Entstehung des Großen Zapfenstreichs mit den verschiedenen Teilen in der heute noch üblichen Form muss man in folgende Kapitel aufteilen:

-   Die Geschichte des Zapfenstreichmarsches

-   Die Einführung des Gebets

-   Die Entstehung des Großen Zapfenstreichs in der heute noch gültigen Form.

Der Preußische Zapfenstreichmarsch (auch Russischer Zapfenstreich genannt)

Am 12. 05. 1838 besuchte der russische Zar Nikolaus I. Berlin. Sein damaliger Gastgeber, der preußische König Wilhelm III. beabsichtigte, zu dessen Empfang eine große Festmusik auf dem Schlossplatz zu veranstalten. Er beauftragte Wilhelm Wieprecht damit.

Wieprecht sah im Programm folgende Stücke vor:

1. die Russische Nationalhymne

2. einige Märsche und, so hieß es damals

3. der Russische Zapfenstreich.

Wieprecht zog 16 Infanterie- und 16 Kavallerie-Musikkorps sowie 200 Tambours zusammen, das ergab ein Orchester von 1200 Mann. So etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben.

Die Bezeichnung „Russischer Zapfenstreich“ hat zu großen Missverständnissen geführt. Was war das denn nun eigentlich für ein Stück?

Der Musikhistoriker August Kalkbrenner, der dieses Programm in seinem Buch von 1882 über Wilhelm Wieprecht anführte, äußerte sich in seiner kleinen Schrift „Die Königlich Preußischen Armee-Märsche“ etwas genauer über den Russischen Zapfenstreich.

Dort heißt es:

Als historische Stücke haben ferner noch zu gelten: Der Große Zapfenstreich; harmonische Retraite der Kavallerie; Gebet.“

Genaues ist über die Herkunft dieser Nummern nicht bekannt. Den Großen Zapfenstreich bezeichnet man zuweilen auch als den Russischen Zapfenstreich. Nach Dr. Thuoret stammt der Preußische Zapfenstreich aus Russland, ist aber wahrscheinlich die Komposition eines Deutschen“.

Leider beschreibt Kalkbrenner nicht genauer, um welche Stücke es sich hier handelt. Eine zeitgenössische Quelle aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermag dieses Rätsel jedoch zu lösen.

In der Sammlung „Pieces d’Harmonie“ von Guillaume Legrand (1769-1815), ein Komponist klassischer Werke, die in der Bayerische Staatsbibliothek aufbewahrt wird, enthält die laufende Nummer 386 des ersten Bandes die Überschrift: „Russischer Zapfenstreich“.

Das Stück ist ein zweiteiliger Marsch von 8 und 16 Takten, dessen Melodieanfang fast genau dem Marsch entspricht, den Wieprecht Jahre später als

„Marsch in vorgeschriebener Cadenz, Nr. 2, Der Zapfenstreich“

in der Partitur seines „Großen Zapfenstreich“ als Zapfenstreichmarsch aufgenommen hat.

Diesen Marsch hat er am 12. 05. 1838 bei der Festmusik unter der Bezeichnung Russischer Zapfenstreich gespielt. Für Friedrich Wilhelm III., wie für das preußische Militär war ein kurzer zünftiger Marsch als Zapfenstreich noch neu und ungewöhnlich, den Preußen waren bis dahin als Zapfenstreiche nur Signale, Stücke für Trommler und Pfeifer sowie langsame, feierliche Stücke bekannt.

Dagegen waren in der Kurpfalz, in Bayern und Österreich flotte Märsche als Zapfenstreichmärsche schon früher geläufig, z. B. Beethovens Zapfenstreiche Nr. 1-3, die zwischen 1809 und 1823 entstanden sind, sowie der Bayerische Zapfenstreich von 1822/23, der in der „Königlich Bayerischen Dienstvorschrift für die Infanterie von 1916“ auch als „Großer Zapfenstreich“ bezeichnet wurde.

Die Einführung des Gebets in den Zapfenstreich

Seit dem Sommer 1813 gibt es im Preußischen Zapfenstreich das Gebet bzw. Abendlied. Über dessen Einführung sind viele Geschichten im Umlauf, wovon einige auf Missverständnissen beruhen dürften.

Nach dem Vergleich geschichtlicher Daten gilt folgende Darstellung als die wahrscheinlichste:

Es war in der Zeit der Befreiungskriege zwischen 1812 und 1815. Am Abend nach der Schlacht von Groß-Görschen, südwestlich von Leipzig, am 02. Mai 1813 besichtigte Friedrich Wilhelm III. zusammen mit Zar Alexander I. das russische Lager. Dort hörte er den Zapfenstreich der verbündeten russischen Truppen mit einem gesungenen Gebet am Schluss und war so beeindruckt, dass er dies wenig später für seine Armee übernahm.

Er erließ mit der Kabinettsorder vom 10. Aug. 1813 für die preußischen Truppen die Einführung eines Gebetes nach dem Zapfenstreich. Nachfolgend der Wortlaut der Kabinettsorder, die Friedrich Wilhelm III. im August 1813 an seine kommandierenden Generäle Tauentziehn und Blücher gerichtet hat:

„Da bei allen Armeen der jetzt mit Uns verbündeten Mächte, namentlich bei den Russen, Österreichern und Schweden, der Gebrauch stattfindet, des Morgens nach beendigter Reveille und des Abends nach beendetem Zapfenstreich ein Gebet zu verrichten, und es Mein Wille ist, dass Meine Truppen auch Hinsicht der Gottesehrung keinen anderen nachstehen sollen, und dass überhaupt bei denselben dem so nothwendigen religiösen Sinn immer mehr Raum gegeben und jedes Mittel zur Behebung angewendet werden möge, so befehle ich hiermit: Daß die Wachen von jetzt an, wenn die Reveille oder Zapfenstreich geschlagen wird, ins Gewehr treten, sodann das Gewehr präsentieren, wiederum schultern und abnehmen, hierauf den Czako usw. mit der linken Hand abnehmen und ihn mit beiden Händen vor dem Gesicht haltend, ein stilles Gebet, etwa ein Vaterunser lang, verrichten sollen. Die Mannschaft nimmt mit dem kommandierenden Offizier, Unteroffizier usw. zugleich den Czako ab und setzt ihn ebenso wieder auf.

In den Feldlägern sollen die vor den Fahnen usw. versammelten Trompeter und Hoboisten gleich nach beendigtem Zapfenstreich ein kurzes Abendlied blasen, nach welchem die vordem ohne Gewehr in Jacken oder Mänteln herangetretenen Exkadronen oder Kompanien zugleich mit den wachen das Haupt zum Gebet entblößen, nach dessen Ende ein Signal mit der Trompete oder Trommel die Wachen aus dem Gewehr treten und die Kompanien auseinander gehen. Ich trage Ihnen auf, diesen Befehl den unter Ihrem Kommando stehenden Truppen wörtlich bekannt zu machen, und auf dessen Befolgung strenge zu halten.“

Neudorf, den 10. August 1813 Friedrich Wilhelm

Erklärung der in der Kabinettsorder erwähnten Begriffe:

Czako: Der Tschako (bis 1931 Czako geschrieben) oder auch scherzhaft Hurratüte genannt, ist weder Hut noch Helm, sondern eine militärische Kopfbedeckung ungarischer Ursprungs. Er bestand ursprünglich aus Filz, später aus Leder. Preußen führte den Tschako 1807 für die Infanterie ein und ersetzte ihn 1871 durch die Pickelhaube. Nach dem 1. Weltkrieg wurde der Tschako von der Schutzpolizei getragen, wo er bis in die 1950er Jahre zur Uniform gehörte. Hoboisten: Im früheren Sprachgebrauch auch. Hautbiosten genannt, das sind Musikanten mit Blasinstrumenten bzw. eine Bläsergruppe.

Nach den vorliegenden Quellen äußerte sich der König nicht darüber, welches Gebet gesprochen oder welches Abendlied gespielt werden sollte, sondern nur die Tatsache als solche.

Die für den Text „Ich bete an die Macht der Liebe“ verwendete Melodie komponierte der russische Komponist Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski (1751-1825) für eine Messe in Sankt Petersburg erst 1822.

Diese Melodie kam 1825 in einem Choralbuch in die Dorfkirche Rixdorf (seit 1912 Bethlehemkirche) in Berlin-Neukölln, wo dieses Buch länger in Gebrauch war. Es gilt als wahrscheinlich, dass Wilhelm Wieprecht dort die Melodie kennen gelernt hat. Erst später wurde ihr der Text eines Gedichts des deutschen Mystikers Gerhard Tersteegen (1697-1769) mit dem Titel „Für dich sei ganz mein Herz und Leben“ unterlegt, dessen vierte Strophe mit „Ich bete an die Macht der Liebe“ beginnt. Gerhard Tersteegen hat viele geistige Lieder, Gedichte und Texte verfasst, die man unter anderem auch in unseren heutigen Gesangsbüchern wiederfindet.

Als Lied mit drei religiösen Textstrophen in russischer Sprache ist die Melodie von Bortnjanski auch in Moskau erschienen, allerdings erst 1885.

Wann genau Bortnjanskis Melodie mit Tersteegens Text von Wieprecht zum ersten Mal in einem Zapfenstreich gespielt wurde, ist nicht genau bekannt, möglicherweise auf einem Festakt am 12. 05. 1838 zu Ehren des Zaren Alexander I., wahrscheinlicher aber auf einem Konzert in Köln am 25. Juli 1856, wo im erhaltenen Programmzettel ausdrücklich von Gebet die Rede war.


   GEBET:     Ich bete an die Macht der Liebe,
                     die sich in Jesu offenbart.
                     Ich geb mich hin dem freien Triebe,
                     wodurch ich Wurm geliebet ward.
                     Ich will, anstatt an mich zu denken,
                     ins Meer der Liebe mich versenken.
 

Die Entwicklung des Zapfenstreichs in der neuen Fassung von Wilhelm Wieprecht

Wilhelm Wieprecht war von 1838 bis 1872 Direktor der Musikkorps der Königlichen Preußischen Gardekorps. Nach der Festmusik am 12. 05. 1838 zu Ehren des russischen Zaren, die bei allen Beteiligten einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, reifte in Wieprecht die Vorstellung, nicht nur einen Zapfenstreich-Marsch zum Abschluss zu spielen, sondern einen ganzen Zapfenstreich-Zyklus.

Nach Gründung der Weimarer-Republik erfuhr der Große Zapfenstreich eine Erweiterung. Im Jahre 1922 bestimmte Reichspräsident Friedrich Ebert die Melodie der ehemaligen österreichischen Kaiserhymne von Joseph Haydn zur deutschen Nationalhymne. Danach war es üblich, mit der Hymne den Großen Zapfenstreich zu beenden.

Bis 1918 wurde bei Anwesenheit des Kaisers „Heil Dir im Siegerkranz“ gespielt, danach wurde die neue Nationalhymne fester Bestandteil des Großen Zapfenstreichs.

Im Ablauf des Großen Zapfenstreichs hatte Wieprecht schon festgelegt, das die Ehrenformation mit dem Yorck’schen Marsch aufmarschiert. Der Yorck’sche Marsch erinnert an Graf Yorck von Wartenburg. Beethoven schrieb 1809 sein „Karoussel an dem glorreichen Namensfest Ihrer K.K. Majestät Maria Ludovika im K.K. Schlossgarten von Laxenburg“.

Er hatte das Stück als Marsch für die böhmische Landwehr komponiert. Von dort kam der Marsch 1813 zum Armeekorps des preußischen Generals von Yorck, bei dem er in den Befreiungskriegen mit besonderer Vorliebe gespielt wurde.

Zapfenstreich-Teile für Trommler und Pfeifer werden 1847 in das Exerzierreglement für die Infanterie übernommen.

Die heutige Form des Großen Zapfenstreiches wurde ab 1956 für die Bundeswehr offiziell zum militärischen Zeremoniell erhoben und in entsprechenden Vorschriften geregelt. Einschränkungen hinsichtlich der Zahl der Aufführungen sowie das Verbot für die Musikkorps, einzelne Stücke außerhalb des Großen Zapfenstreichs zu spielen, sollten den besonderen Stellenwert dieses militärischen Zeremoniells aufzeigen.

Zum ersten Mal ist darin auch festgelegt, dass zur Durchführung des Großen Zapfenstreichs Musikkorps, Truppenteile unter Gewehr und Fackelträger als fester Bestandteil gehören. Eine weitere Bestimmung über die Durchführung des Großen Zapfenstreichs erfolgte 1962, darin wurde die Durchführung in allen Abläufen und Kommandos genauestens angeordnet:

Antreten, Anmarsch, Aufstellung, Meldung, Serenade, Großer Zapfenstreich, Abmeldung und Abmarsch.

Der musikalische Ablauf des Großen Zapfenstreichs:

1. Serenade (bis zu 3 Musikstücke / Spielleute und Musikkorps);

2. Locken zum Zapfenstreich (Spielleute);

3. Zapfenstreichmarsch (Spielleute und Musikkorps);

4. Retraite - 1., 2., und 3. Post

     (das sind die drei Posten des traditionellen Zapfenstreichs der berittenen Truppen / Musikkorps);

5. Zeichen zum Gebet (Spielleute);

6. Gebet (Spielleute und Musikkorps);

7. Abschlagen nach dem Gebet (Spielleute);

8. Ruf nach dem Gebet (Musikkorps);

9. Nationalhymne (Spielleute und Musikkorps).

Ausführung des „Großen Zapfenstreichs“

- Der Große Zapfenstreich wird ausgeführt von Spiel­leuten und Musikkorps, die von zwei Zügen unter   Gewehr und Fackelträgern begleitet werden.

- Führer des Großen Zapfenstreichs ist ein Truppenoffizier, der mindestens im Rang eines Stabs-offiziers steht und die für den Großen Zapfenstreich angeordneten Kom­mandos gibt.

- Die musikalische Leitung hat der Chef des Musikkorps oder, bei Ausführung in größerem Rahmen, der dienstälteste Musikchef.

- Der Große Zapfenstreich marschiert unter den Klängen eines Armeemarsches auf den befohlenen Platz. Nach dem Halten wird eine Linkswendung durchgeführt, der ein kurzes Ausrichten folgt. Auf ein weiteres Kom­mando treten die Fackelträger, der Chef des Musik­korps, der Tambourmajor, der Schellenbaumträger und evtl. der Kesselpauker an ihre Plätze.

- Sodann erfolgt die Meldung des Großen Zapfenstreichs an die zu ehrende Persönlichkeit.

- Nach weiteren Kommandos beginnt nun üblicherweise eine Serenade in Form von einigen geeigneten Musik­stücken nach der Wahl des zu Ehrenden. Nach Beendigung der Serenade beginnt auf das Kommando des Truppen­offiziers sodann der Große Zapfenstreich in der oben bezeichneten Spielfolge.

- Vor dem Gebet erhalten die Waffenzüge das Kommando zum Abnehmen, nach dem Gebet das Kommando zum Auf­setzen des Helms.

- Der Große Zapfenstreich wird nach dem Spielen der Nationalhymne durch den Truppen­offizier abgemeldet.

- Nachdem die Fackelträger, der Chef des Musikkorps usw. ihre Marschplätze wieder eingenommen haben, wird eine Rechtswendung ausgeführt.

- Mit einem Wirbel von 8 Schritten und 8 Schlägen des Tambours und dem darauf folgenden Zapfenstreich (Zapfenstreichmarsch) marschiert der Große Zapfenstreich ab.

Anmerkung:

- Beim Gebet - nachdem die Waffenzüge den Befehl „Helm ab zum Gebet" bekommen haben - erheben sich alle

zum „Großen Zapfenstreich" geladenen Gäste. Die Herren nehmen ebenfalls ihre Kopfbedeckung ab. Nach Beendigung des Gebets - nach dem Kommando „Helm auf" - sind alle Gäste gebeten, wieder Platz zu  nehmen.

- Zum Spielen der Nationalhymne verhalten sich alle Gäste nach ihrer jeweiligen Landessitte.

- Die Abmeldung des „Großen Zapfenstreiches" erfolgt wie bei der Meldung an die zu ehrende Persönlichkeit.